Der inzwischen übliche Hinweis „der Fraktionszwang sei aufgehoben und die Abgeordneten frei in ihrer Entscheidung“ scheint keinen Hund mehr hinter dem Ofen vor zu locken, obwohl es doch ein völlig schräges Verständnis unserer demokratischen Grundordnung widerspiegelt. Parlamentspräsident Lammert hat es anlässlich der Abstimmung zur gleichgeschlechtlichen Ehe auf den Punkt gebracht „Ob eine Frage eine Gewissensentscheidung ist, entscheidet jeder Abgeordnete für sich – und niemand sonst“. Wer sich zudem noch darüber aufregt, dass wichtige und dringende Themen von der Regierung nur zögerlich, dilettantisch oder überhaupt nicht angegangen werden, wird sich auch gewundert haben, wie schnell ein Thema beschlussreif, und zur Abstimmung gebracht werden kann. Während man bei ebenfalls wichtigen Anliegen sonst nur in einen fast leeren Plenarsaal blickt, konnte kürzlich festgestellt werden, dass alle Stühle im Plenarsaal doch eine Bestimmung haben.

Unser Wahlrecht, und die steigende Parteienvielfalt wird, bedingt durch Überhangmandate, bei der anstehenden Bundestagswahl unser Parlament eventuell auf bis zu 750 Sitze anwachsen lassen. Derzeit sind es 630 Mandate, die Mindestzahl ist 598 und Fachleute halten 500 für sinnvoll und ausreichend. Ermahnungen, Bestrebungen und Petitionen konnten die Verantwortlichen aber bisher nicht bewegen eine dringend notwendige Reform des Wahlrechts zu veranlassen, um die Arbeitsfähigkeit der Regierung zu erhalten, und geschätzte Mehrkosten von bis zu 128 Mio. € zu vermeiden.

Hier versagen Regierung und Opposition wieder einmal kläglich und demonstrieren wie üblicherweise gearbeitet wird.

An dem aktuellen Beispiel „gleichgeschlechtliche Ehe“ lässt sich erfreulicher Weise sehen, dass es auch anders sein könnte. Es macht aber auch deutlich, dass unser Parlament nicht noch größer werden muss, vor allem wenn dort „gleichgeschaltete“ Parteifunktionäre sitzen, die üblicherweise einem Fraktionszwang folgen.

Bei andern Themen, bei denen weniger Sachverstand bei der Abstimmung im Plenarsaal versammelt ist, werden schon mal kritischere Entscheidungen getroffen.

Wie die letzten Cyberangriffe deutlich gemacht haben sollten, müssten alle Sicherheitslücken in IT-Systemen geschlossen werden. Die NSA nützt diese aber lieber selbst, und die Bundesregierung baut jetzt offensichtlich eigene ein. Das kürzlich beschlossene Gesetz zur Online-Durchsuchung (Quellen-Telekommunikationsüberwachung; Quellen-TKÜ) wird nicht nur den staatlichen Stellen den Zugriff auf die elektronischen Medien von Personen ermöglichen, sondern auch den findigen Spezialisten. Und erfahrungsgemäß sind kriminellen Kräfte den staatlichen immer einen Schritt voraus.

Ein weiteres Reizwort nach Fraktionszwang ist Lobbypolitik. Hier haben Energieversorger wieder einmal gezeigt, wie es geht und sich mit Hilfe eines „staatlichen“ Fonds von den drohenden, unüberschaubaren Kosten im Atomenergiebereich zu Lasten der Steuerzahler befreit. Ein Deal, der für die Steuerzahler teuer werden wird.

Weitere wichtige und fragwürdige Entscheidungen wurden getroffen, leider oftmals ohne die notwendige Aufmerksamkeit zu erhalten, wie dies bei der Ehe für alle der Fall war.

Ein Wechsel bei den Akteuren und eine Reduzierung der Parlamentsgröße würden uns bestimmt gut tun.

Peter Schnierer