Der wohl bekannteste Förster Deutschlands, Peter Wohlleben, bringt es auf den Punkt: “Alte, gesunde Wälder sind quatschenass. Sie speichern sehr viel Wasser in Moosen und Flechten, im Humus des Bodens und im sogenannten Totholz. Selbst wenn es wochenlang nicht regnet, ist der Waldboden noch feucht.” Gemeint sind damit Naturwälder, die sich selbst – also der Natur – überlassen werden und in die der Mensch nicht eingreift, sie also nicht bewirtschaftet.
In einem Urwald – genauer gesagt Naturwaldreservat – kann sich unser heimischer Wald vom Menschen unbeeinflusst entwickeln. Es handelt sich um ehemalige Wirtschaftswälder, die aus der forstlichen Nutzung entlassen werden.
Echten Naturwald bzw. Urwald – gibt es fast nicht mehr. Gerade in unseren Breitengraden hat der Mensch den Wald nahezu überall verändert. Ein wichtiger Aspekt dabei ist der Rohstoff Holz. Auf den Wald als Rohstofflieferant können wir nicht verzichten. Es wäre geradezu verwerflich, auf die Holzgewinnung hierzulande zu verzichten und Holz aus den Regenwäldern Südamerikas zu importieren. Von den rund 1.816 ha Gemarkungswald in Selters sind bereits heute etwa 37 ha aus dem regelmäßigen Betrieb genommen. Wir möchten, dass weitere 25 – 30 ha aus dem regelmäßigen Betrieb genommen werden (das wären rund 1,5% des Waldes) und als „Urwald“ dauerhaft unbewirtschaftet bleiben. Gerade in der aktuellen Situation, in der große Teile unseres Waldes – hauptsächlich Fichten – Stürmen, Trockenheit und Borkenkäfern zum Opfer gefallen sind, könnten wir aus der Not eine Tugend machen und ein geeignetes Areal zu einem Naturwaldreservat erklären. Die Natur heilt sich selbst am besten.
Derzeit sind in Deutschland lediglich 0,6% der Landesflächen Wildnisgebiete. Oft ist fehlendes Totholz der limitierende Faktor für viele seltene Arten im Lebensraum Wald. „Alte oder tote Bäume bieten Baumhöhlen für verschiedene Vögel und Säugetierarten, sind aber auch Nahrungsquelle für seltene Käfer und andere Insekten“, so die Deutsche Wildtierstiftung.
Von Natur aus wäre Deutschland zu über 90 Prozent von Wald bedeckt, der größte Teil davon Buchen- oder Buche/Eichen-Mischwälder, sagt Peter Wohlleben. Tatsächlich sind es heute lediglich noch rund 33 Prozent.
Wo ein solches Naturreservat entstehen kann, soll mit Experten erörtert werden. Aus unser Sicht bieten sich Areale an, deren Baumbestand derzeit ohnehin größtenteils vernichtet wurde. Ideal wäre ein Areal mitten im Wald, umgeben von einer Pufferzone zum Wirtschaftswald.
Die Ertragslage der Gemeinde durch den Rohstoff Holz wird nicht verringert, denn bis die vernichteten Waldflächen wieder aufgeforstet und als Rohstoff nutzbar wären, vergehen noch viele Jahrzehnte. Und es gibt keine Garantie, dass sie bis dahin nicht wieder von Sturm und Trockenheit vernichtet worden sind.
Auch die Jagd kann beibehalten werden, damit keine überhöhten Wildbestände entstehen und eine natürliche Verjüngung der Baumarten verhindern.
“Der alarmierende Artenrückstand muss dringend gestoppt werden. Dazu müssen weitere Waldflächen aus der Nutzung genommen werden und sich frei entwickeln dürfen. Die Schaffung von Naturwaldflächen in der Gemeinde Selters wäre ein erster guter Schritt. Wenn man die zu Schaden gekommenen ehemaligen Fichtenflächen sich selbst überlässt, so könnten sich Baumsämlinge wieder neu entfalten und es besteht die Chance, dass sich über Vögel eine weitere Diversität entwickelt.”
Egon Schwan, NABU Eisenbach