Der Patient ist noch nicht klinisch tot, es geht ihm aber auch nicht besonders gut. Im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte hat er viele Vitalfunktionen eingebüßt, teils selbstverschuldet durch mangelnde Pflege, teils bewusst in Kauf genommen von Politikern und Parteien, deren Fokus eher auf den Ballungsgebieten und urbanen Zentren liegt. Der Patient siecht, doch er kämpft, er hat sich noch nicht aufgegeben. Der Patient heißt: Dorf.

Natürlich gibt es Strukturfonds, fließen hohe Beträge in die sogenannte „Entwicklung des ländlichen Raums“ (der in Hessen 80% der Landesfläche ausmacht und in dem mehr als die Hälfte der Einwohner lebt), für die einzelnen Kommunen ist es aber oft nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und es finden sich immer wieder Beispiele struktureller Benachteiligung von Grund- und Unterzentren gegenüber Mittel- und Oberzentren – auch in den Landesentwicklungsplänen. Ein Schulterschluss der kleineren Gemeinden tut Not! Das ist aber vor allem eine Aufgabe der Bürgermeister und Landespolitiker.

Was können wir vor Ort tun?

Es gibt ganz konkrete Beispiele, wie man die Verödung und das Sterben von Ortskernen verhindern kann. Gleich zu Beginn unserer Tätigkeit als Kommunalpolitiker sollte die Postfiliale im Ortsteil Eisenbach geschlossen werden. Mit der von UWE eingeleiteten Unterschriftenaktion und nach etlichen Verhandlungsstunden konnte dies verhindert werden. Ein kleines Mosaiksteinchen, das dazu beiträgt, der Bäckereifiliale mehr Laufkundschaft zu bescheren und der ortsgebundenen Bevölkerung weiterhin die Erledigung ihrer Postgeschäfte vor Ort zu ermöglichen – den kleinen Plausch an der Verkaufstheke inbegriffen. Denn auch das ist ein ganz wichtiger Aspekt: Räume zu schaffen, in denen die Menschen sich spontan begegnen und austauschen können.

Treffpunkte sind ein gutes Stichwort. Neben den Begegnungsstätten, die meist für Veranstaltungen und von Gruppen genutzt werden – also zu verabredeten Zeiten und mit häufig denselben Teilnehmern – ist die Möglichkeit „Hinz und Kunz“ an einem bestimmten Ort über den Weg zu laufen und kurz aktuelle Neuigkeiten auszutauschen immens wichtig für das Lebensgefühl. Wir hatten bereits in einer der letzten Ausgaben ein paar Ideen für die weitere Nutzung des alten Feuerwehrgerätehauses formuliert: Indoor-Spielplatz, Büchercafé oder Teestube, Ausstellungsraum für alte Bilder und Utensilien, eine Mischung aus allem und im Sommer ein paar Tische und Sitzgelegenheiten draußen – der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Der Realisierung schon eher, ein Investor und Betreiber mit Bezug zur Gemeinde und der Bevölkerung wäre hier wie ein Sechser im Lotto!

Geschäfte beleben den Ortskern und sichern die Versorgung. In Niederselters sieht das ganz gut aus, in Eisenbach gibt es immerhin Bäcker, Metzger, Frisörsalon und einige weitere Kleinunternehmer. In Haintchen und insbesondere in Münster sieht es nicht mehr ganz so rosig aus. Hier sind kreative Konzepte, Zusammenspiel der gemeindlichen Gremien und ein langer Atem gefragt.

Verdichtung und Verjüngung sind zwei wesentliche Aspekte für einen vitalen Ort. Verdichtung bedeutet, dass Baulücken geschlossen und leerstehende Häuser wieder als Wohn- oder Geschäftsraum genutzt werden. Verfallende Gebäude tragen nicht zur Belebung von Ortskernen bei. Wir möchten Bauherren unterstützen, die innerorts in Wohnraum investieren. Das hat zusätzlich den angenehmen Effekt, dass weniger Acker- und Weideland versiegelt wird. Auch zur Verjüngung haben wir ein paar Ideen, zum Beispiel Mehrgenerationenhäuser. Ja, die gab es früher flächendeckend und es war üblich, dass zwei oder mehrere Generationen unter einem Dach wohnten. Inzwischen lebt in vielen Häusern nur noch eine (und zumeist die ältere) Generation oder nur noch eine Person. Umgekehrt können sich jüngere Menschen oder Familien häufig kein eigenes Haus leisten. Hier setzt das Konzept an: ältere Menschen bekommen Unterstützung bei der Instandhaltung, Gartenarbeit oder beim Einkauf, die Jüngeren profitieren von günstiger Miete und vielleicht der einen oder anderen Stunde Kinderbetreuung oder mal einem Topf mit „Sauern Häbsch“. Selbstverständlich muss jeder für sich selbst entscheiden, ob ihm dieses Konstrukt zusagt.

Die Arbeitswelt ändert sich rapide. Durch Corona ist „homeoffice“ – also das Arbeiten von zu Hause – für viele Arbeitnehmer und Selbstständige schneller als gedacht zur Realität geworden. Unsere Kinder wurden zeitweise via Laptop und Videokonferenz unterrichtet. Schnelle und stabile Internetverbindungen sind hierfür unumgänglich. Deswegen hat UWE von Anfang an und vorbehaltlos die Initiative der Verwaltung (nicht irgendwelcher Parteien!) zum Glasfaserausbau unterstützt und aktiv mit der Einrichtung eines Internetforums begleitet. Wir werden auch künftig Informationstechnologien gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen sein, denn wer sich hier zu zögerlich zeigt, wird irgendwann von der Entwicklung überholt und guckt dann nur noch in die Röhre.

UWE stellt deshalb in der Gemeindevertretung den Antrag, einen Arbeitskreis “Zukunft Selters” einzurichten, dem Vertreter aller Fraktionen und der Verwaltung angehören. Wenn wir nicht wollen, dass in 50 Jahren unsere Ortsteile nur noch selbstverwaltete Seniorenheime und Schlafstätten für diejenigen Arbeitnehmer sind, die sich die horrenden Mieten in Ballungsräumen nicht mehr leisten können, dann müssen wir jetzt kreativ werden und handeln.