Der Antrag zur einem Abwahlverfahren mag für große Teile der Bevölkerung „aus heiterem Himmel“ kommen und der häufig kritisierte Zeitpunkt, da sich der Amtsinhaber gerade in Urlaub befand, befremdlich wirken. Tatsächlich finden schon seit weit über einem Jahr gremienübergreifend intensive Gespräche über die Art und Weise der Amtsführung inklusive möglicher Ausstiegszenarien statt, über die der Bürgermeister natürlich informiert und bei denen er häufig auch involviert war. Es ist also für keinen der Beteiligten überraschend, wenn nun nach zig Gesprächen und Krisentreffen ein solcher Vorgang in die Wege geleitet wird.
Ergebnis der Abstimmung über den Antrag zur Abwahl des Bürgermeisters in der Sitzung der Gemeindevertretung vom 24.6.2024:
23 JA-Stimmen – 7 NEIN-Stimmen
Begründung der Antragsteller CDU, SeltersUnion und UWE im Wortlaut (hier klicken >>)
Es fällt keinem Mitglied der Gemeindevertretung leicht, einen solchen Antrag zu befürworten und durch seine Unterschrift zu dokumentieren, dass es nach eigenem Dafürhalten ein „weiter so, Augen zu und durch“ nicht mehr geben kann. Der Bürgermeister wurde in freien, demokratischen Wahlen von der Mehrheit der Selterser gewählt. Das gilt aber genauso auch für die Mitglieder der Gemeindevertretung. Auch sie repräsentieren „Volkes Wille“. Und ihre Aufgabe ist es, das steht so in der Hessischen Gemeindeordnung, die Verwaltung zu kontrollieren. Wenn ein großer Teil der Gemeindevertretung diesen Auftrag ernst nimmt, dann sollte dem – wenn schon nicht Zuspruch – zumindest Respekt gezollt werden, denn es ist wie gesagt keine angenehme Situation und sicherlich kein Szenario, dass sich die Kandidatinnen und Kandidaten bei ihrer Wahl gewünscht hätten.
Ich habe zusammen mit meiner Fraktion beschlossen, diesen Antrag auf Abwahl zu befürworten. Es ist keinesfalls so, dass ich Jan Subat persönlich nicht leiden kann oder ihm Steine in den Weg legen will. Wer uns beide kennt, weiß, dass wir bisher ein herzliches und freundschaftliches Verhältnis hatten – und ich hoffe, dass das auch so bleibt, egal, wie die Abstimmung ausgeht. Mir ist klar, dies ist ein hehrer Anspruch.
Unsere Entscheidung hat einen Grund: Wir wollen als UWE für uns in Anspruch nehmen, nachdrücklich auf die Komplikationen und Zerwürfnisse hingewiesen zu haben und die Bevölkerung wissen zu lassen, dass in der Verwaltung und bei der Amtsführung einiges im Argen liegt. Wir wollen uns nicht vorwerfen lassen, wir hätten Probleme verschwiegen und Ungereimtheiten ignoriert.
Die steile These von einigen Gegnern des Abwahlverfahrens, die unterzeichnenden Fraktionen würden aus Enttäuschung über den Ausgang der letzten Bürgermeisterwahlen nun versuchen, den Amtsinhaber zu demontieren, ist schlicht lächerlich. Herr Subat hätte ohne die Stimmen von Wählerinnen und Wählern auch dieser Fraktionen rein rechnerisch wohl kaum die Bürgermeisterwahl gewonnen, insofern sind natürlich auch die unterzeichnenden Fraktionen bestrebt gewesen – und sind es immer noch – mit dem Leiter der Gemeindeverwaltung konstruktiv zusammenzuarbeiten. Unser Mitglied des Gemeindevorstands, Jürgen Hundler, hat den Bürgermeister nach seinem Amtsantritt durch die Verwaltung geführt und mit den Abläufen vertraut gemacht. Die gesamte Verwaltung, der Gemeindevorstand und die Gemeindevertretung haben sich gegenüber dem neuen Bürgermeister nach seiner Wahl offen und kooperativ gezeigt. Wenn aber nun eine breite Mehrheit der Mitglieder der den Abwahlantrag unterzeichnenden Fraktionen der Meinung ist, es ginge so nicht mehr, dann ist das bemerkenswert. Insbesondere, wenn man weiß, dass wir sonst mit unterschiedlichen Vorstellungen und häufig wechselnden Mehrheiten im demokratischen Austausch um die Geschicke und die weitere Entwicklung der Gemeinde Selters leidenschaftlich streiten.
Einige Kritikpunkte, die zum Abwahlantrag geführt haben, wurden bereits dargelegt.
Personalsituation: Es ist doch beachtlich, wenn innerhalb von etwa zwei Jahren über ein Drittel der Angestellten die Gemeinde verlässt. Davon sind nur zwei Renteneintritte zu verzeichnen, der Rest hat die Segel gestrichen. Und das, nachdem über lange Jahre kaum Fluktuation in der Verwaltung zu verzeichnen war. Bei jeder Personalabteilung einer Firma würden hier die Alarmglocken schrillen. Wer nun argumentiert, es seien ja auch Personen aktiv „abgeworben“ worden, der muss auch beantworten, warum ein „Abwerben“ funktioniert? Wer mit dem Arbeitsumfeld und dem Gehalt zufrieden ist, der geht normalerweise nicht freiwillig. Wenn man einen wohnortnahen Arbeitsplatz aufgibt, dann muss die Motivation „Gehalt“ schon immens sein, denn man muss dann ja längere Fahrtzeiten, Fahrtkosten und ggf. Betreuungskosten für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige einpreisen. Wenn es aber nicht an einem außerordentlichen Gehaltssprung liegt, dann stimmt meistens etwas mit dem Umfeld nicht. Selters war übrigens lange Jahre Vorzeigegemeinde im Landkreis für die erfolgreiche Übernahme von Auszubildenden in die Verwaltung. Davon ist aktuell nicht viel zu spüren. Und auch das Argument, die freien Stellen seien ja nun wieder besetzt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei einer derartigen Fluktuation Wissen verloren geht, das die Neuen sich wieder mühsam aneignen müssen. Wenn dann gerade halbwegs eingearbeitete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schon wieder weg sind, bevor die Neuen ihren Dienst angetreten haben, ist die Verwaltung nur eingeschränkt handlungsfähig. Die Bürgerinnen und Bürger werden sich freuen, wenn Anträge zum Beispiel auf dem Bauamt viel längere Bearbeitungszeiten in Anspruch nehmen, weil dort keiner mehr weiß, wo die Ordner oder die Ablage mit den entsprechenden Flurstücken und Bebauungsplänen und den dazugehörigen Vorgängen zu finden sind. Vielleicht noch schlimmer: Für die kompetente Begleitung von Projekten zur Unterstützung der Gremienarbeit ist dieser Wissensverlust ein Debakel – denn die Gemeindevertretung und die Ausschüsse sowie der Gemeindevorstand sind auf die Unterstützung durch Sachverständige der Verwaltung bei der Planung und Durchführung von zukunftsweisenden Beschlüssen angewiesen.
Wasserversorgung: Das Thema beschäftigt die Verwaltung und die Gremien seit Jahren. Und es war zum Ende der Amtszeit von Ex-Bürgermeister Hartmann noch nicht abgeschlossen. Es ist aber auch nicht ungewöhnlich, dass komplexe, weitreichende und teure Projekte über mehrere Legislaturperioden fortgeführt werden müssen. Dies ist eine Erblast, die jede neue Regierung, jeder neue Landrat und jeder Bürgermeister tragen muss. Dass es aber nach dem Amtsantritt des neuen Bürgermeisters zu einem solchen Kuddelmuddel bei der Auftragsvergabe kam, was nun darin gipfelt, dass eine Kommission aus Gemeindevorstand und Gemeindevertretern sich über die Vorgänge schlau machen und die Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit der Beauftragung von Firmen, deren Leistungserbringung und der Begleichung von Rechnungen (im sechsstelligen Bereich) überprüfen muss, gab es meines Wissens in der Geschichte der Gemeinde Selters noch nicht. Hier geht es um unser Geld, um unsere Steuern.

Dies sind nur zwei von mehreren Kritikpunkten, die ich beispielhaft anführen möchte, um zu belegen, dass wir von UWE durchaus begründete Zweifel hegen, ob die Art und Weise der aktuellen Amtsführung so fortbestehen kann, wenn man das Wohl der Gemeinde im Blick hat.
Herr Laux (Mitglied des Gemeindevorstands) schreibt in seinem Leserbrief an die NNP „UWE hört Stimmen“. Das ist richtig. Und es ist gut so, denn wir haben den Anspruch an uns, Stimmen zu hören, auch wenn sie vielleicht unbequem sind. Wir wollen Sachverhalte hinterfragen und wir wollen zum Wohle der ganzen Gemeinde Politik betreiben. Das geht nicht, wenn man immer nur den Weg des geringsten Widerstands wählt. Ob wir damit weiterhin Erfolg haben, wird sich demokratisch weisen.
Lo Siegmund (Fraktionsvorsitzender UWE)