„Heim ins Reich“ – die rechtskonservative Antithese zu Europa

Ich habe meinen Augen kaum getraut, als ich die Schlagzeilen über die neuesten politischen Vorstöße von Kurz & Co gesehen habe. Da möchte die (sehr, sehr) konservative österreichische Regierung den Bürgerinnen und Bürgern in Südtirol doch tatsächlich die doppelte Staatsbürgerschaft anbieten. Worauf die ebenfalls (sehr, sehr) konservative italienische Regierung äußerst empört reagiert, um nicht zu sagen: im Strahl kotzt! Und Teile der Bevölkerung im Trentino wiederum vorsichtshalber anmerken, sie seien den Nachkommen von Sissi auch nicht abgeneigt, denn immerhin wären sie ja auch mal unter den Habsburgern prosperierend an der Peripherie der europäischen Geschichte vor sich hin gestolpert. Da beißt die Maus keinen Faden ab!

https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-12/doppelte-staatsbuergerschaft-oesterreich-suedtirol-angebot-italien-kritik

Ich finde, dieser Vorstoß der Österreicher hat durchaus Charme und ist rational völlig nachvollziehbar. Immerhin ist Südtirol erst seit knapp 100 Jahren Teil Italiens. Ein Wimpernschlag der Erdgeschichte, quasi. Und seine Sonderstellung innerhalb der italienischen Regionen seit nunmehr knapp 50 Jahren als autonome Provinz Trentino-Südtirol mit umfassenden Selbstverwaltungsrechten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schmach der Isonzo-Schlachten immer noch nicht hinreichend aufgearbeitet wurde – zumindest nicht von den Menschen, die demnächst etwa 95 Jahre alt werden – herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle.

Und diese Initiative zeigt einmal mehr, dass auch rechtsnational-ultrakonservativ-neoliberale Regierungen durchaus die doppelte Staatsbürgerschaft befürworten und somit völlig zu Unrecht bisweilen in eine politische Ecke gestellt werden, die ihnen nicht gerecht wird. Völker aller Länder, wir vereinigen – pardon – vereinnahmen euch, wenn es uns passt. Das ist doch schön und lässt die Protagonisten in einem völlig neuen, humanistischen Licht erscheinen.

Mein Vorschlag: zunächst sollte Alpen-Wastl auch in Betracht ziehen, Viktor, den König von Ungarn, für sein Vorhaben zu gewinnen um die glorreiche Doppelmonarchie wieder auferstehen zu lassen. Brüder im Geiste sind sie ja schon. Kaiser Kurz und König Orban. Dann ist es nur noch ein Katzensprung bis zur Adria und dem Wiedererstarken der glorreichen österreichischen Mittelmeerflotte bzw. der k.u.k. Kriegsmarine mit Stützpunkten in Triest und Pola. Und, wenn wir schon dabei sind, sollte Wastl Kurz auch den nach Jahrzehnten der Unterdrückung und Diffamierung nach Gerechtigkeit lechzenden Holländern die Hand reichen und sie zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft ermutigen. Immerhin waren die Niederlande ja auch bis 1795 sehr glücklich unter dem Hause Habsburg und seitdem eigentlich nur noch ein Schatten ihrer selbst. Und nebenbei hätte die österreichische Fußballnationalmannschaft nach der Reintegration der Niederlande wenigstens den Hauch einer Chance, sich mal wieder für ein internationales Turnier zu qualifizieren. Diese Aussicht wäre es auch wert, mit Spanien in einen diplomatischen Konflikt zu geraten, denn auch die spanischen Karlisten dürften dann Anspruch auf die Marschen erheben, die sie bis 1713 (also bis gerade mal vor dreihundert Jahren) ihr Eigen nannten. Immerhin brauchen die Spanier keine guten Fußballer von anderen Nationen, das können sie selbst, insofern wäre da vielleicht ein Deal drin. Problematisch wird es mit den südlichen Niederlanden, heute landläufig als Belgien bezeichnet. Dieses kleine Land besteht erst seit 1830, also im Geschichtsverständnis von Kaiser Kurz quasi gar nicht. Aber dummerweise hatte Belgien im ersten Weltkrieg eine Garantie der Briten, die es vor Invasionen schützte. Deshalb ging ja auch der – von Anfang an bescheuerte und undurchführbare – Schlieffenplan in die Hose. Was Wilhelm II natürlich nicht weiter störte – aber das ist eine andere Geschichte. Was tun, Kanzler Kurz? Vielleicht möchte man die ohnehin europaresistenten Briten besänftigen, indem man ihnen zusichert, sie könnten sich Indien (Vorzeigekolonie) sowie Kanada und Australien (deren Staatsoberhaupt de facto immer noch die Queen ist) wieder einverleiben und damit in ihre weltumspannende „splendid isolation“ und zu Tee und Gebäck zurückkehren, um den Brexit etwas erträglicher gestalten. Das fände sicher Zuspruch.

Für Lothringen und das Elsass gibt es auf Wunsch deutsche Pässe (im Gegenzug französische Pässe für die Bewohner des Rheinlands – siehe 1918/19) und für Polen auch – wenn die Russen nicht dazwischen funken. Ich sage nur „1772, 1793 und 1795“! Hm, da kommen die Litauer und (mal wieder) die Österreicher mit ins Spiel. Aber die Finnen können auf jeden Fall die russische Staatsbürgerschaft bekommen, oder (siehe 1917)? Verdammt, jetzt wird es kompliziert…

Vielleicht kann man im 21. Jahrhundert aber auch darauf hoffen, in größeren Dimensionen zu denken. Ich wäre gerne Bürger der Europäischen Union und deutscher Staatsbürger. Denn die Europäische Union hat – bei all ihren Fehlern und Problemen – uns vor solchen (Klein-)Kriegen bewahrt. Das finde ich sehr gut. Denk noch mal darüber nach, Wastl.

Mit historischen Grüßen
Lo Siegmund

Namentlich gekennzeichnete Beiträge sind persönliche Meinungsäußerungen und geben nicht zwangsläufig die Meinung der Unabhängigen Wähler Eisenbach oder des Betreibers der Website wieder.